Vorvertragliche Schuldverhältnisse und culpa in contrahendo (c.i.c.) nach § 311 Abs. 2 BGB

Bereits bevor ein Vertrag geschlossen wird, können sich zwischen potenziellen Vertragspartnern Pflichten ergeben. Dieses sogenannte Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo, c.i.c.) ist seit der Schuldrechtsmodernisierung im BGB kodifiziert. In diesem Beitrag erfährst du, welche Voraussetzungen für ein vorvertragliches Schuldverhältnis vorliegen müssen, welche Schutzpflichten bestehen und welche Rechtsfolgen gelten.
1. Was versteht man unter der c.i.c.?
Culpa in contrahendo bedeutet, dass bereits bei der Vertragsanbahnung Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB entstehen. Die potenziellen Vertragspartner müssen sich rücksichtsvoll verhalten und dürfen nicht leichtfertig Personen- oder Sachschäden beim anderen verursachen.
- Grundidee: Sobald jemand in den „Einwirkungsbereich“ des anderen tritt (z. B. Betreten eines Ladens), muss sich die andere Seite sorgfältig verhalten.
- Beispiel: Ein Supermarktbetreiber sollte den Boden nicht rutschig sein lassen. Kommt es zu einem Unfall, kann eine Haftung aus vorvertraglicher Pflichtverletzung entstehen.
2. Welche Rechtsfolgen hat ein vorvertragliches Schuldverhältnis?
- Schutzpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB
- Vorvertraglich bestehen nur Schutzpflichten, keine Leistungspflichten.
- Der potenzielle Geschäftspartner muss also die körperliche und sachliche Unversehrtheit des anderen wahren.
- Schadensersatz bei Verletzung
- Kommt es zu einer Verletzung dieser Schutzpflichten, kann der Geschädigte Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB verlangen.
- Klassisches Beispiel: „Linoleumrollen-Fall“ in der Rechtsprechung.
3. Geschichtliche Entwicklung
Die culpa in contrahendo (c.i.c.) war ursprünglich nicht im Gesetz verankert, sondern wurde von Rudolf von Ihering und der Rechtsprechung „praeter legem“ entwickelt. Erst durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurde sie 2002 ins BGB (§ 311 Abs. 2 BGB) aufgenommen.
4. Voraussetzungen für ein vorvertragliches Schuldverhältnis
- Vertragsverhandlung (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB)
- Sobald die Parteien ernsthaft über einen Vertrag verhandeln, entsteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis.
- Vertragsanbahnung (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB)
- Entsteht bereits, wenn jemand lediglich den Geschäftsbereich des anderen betritt und dadurch Kontakt aufnimmt.
- Keine echte Kaufabsicht erforderlich, aber keine völlig geschäftsfremden Motive (z. B. Dieb).
- Ähnliche geschäftliche Kontakte (§ 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB)
- Fälle, in denen kein konkreter Vertragsschluss beabsichtigt ist, aber dennoch vertragsähnliche Beziehungen entstehen (z. B. vorvertragliche Gefälligkeiten mit wirtschaftlichem Einschlag).
5. Einbeziehung Dritter und sonstige Besonderheiten
- Dritte auf Gläubigerseite
- Kann nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geschützt sein („Salatblatt-Fall“).
- Dritte auf Schuldnerseite
- Haftung kann über § 311 Abs. 3 BGB erweitert werden.
- Rücktritt möglich?
- Ein Rücktritt kann analog § 324 BGB infrage kommen, wenn eine Schutzpflicht so schwer verletzt wird, dass der andere Teil nicht mehr an weiteren Verhandlungen interessiert ist.
- Probefahrt im Autohaus
- Nach Rechtsprechung oft stillschweigender Haftungsausschluss zugunsten des Kaufinteressenten, da beide Seiten wissen, dass ein Risiko besteht und dies tolerieren.
Fazit
Ein vorvertragliches Schuldverhältnis („culpa in contrahendo“) entsteht, sobald Parteien ernsthaft über einen Vertrag verhandeln oder eine Vertragsanbahnung vorliegt. Dabei treffen sie Schutzpflichten, keine Leistungspflichten. Werden diese verletzt, kann es zu Schadensersatzansprüchen kommen – auch ohne dass ein endgültiger Vertragsschluss stattfindet.